Ironie oder Idealismus?
Ein Lagebericht aus dem Maschinenraum der Gestaltung – von BROWNZ

Ich erinnere mich an eine Zeit, in der man als Gestalter noch mit einem leuchtenden Ideal durchs Leben lief. Design konnte Dinge besser machen. Gestaltung war ein Werkzeug, ein moralischer Kompass, ein stiller Weltverbesserer mit Schere, Pixel und Typo. Aber was ist davon heute noch übrig? Ein Meme auf Instagram, das sagt: „Design ist der Grund, warum ich Therapie brauche.“
Der Ironiepegel ist inzwischen so hoch, dass man sich beim Betreten eines Co-Working-Spaces die Schuhe ausziehen müsste. Sticker mit „Helvetica is my therapist“, T-Shirts mit „Design won’t save you“ – die Branche trägt ihren Zynismus wie einen schmutzigen Orden. Und das ist kein Zufall. Es ist Selbstschutz. Eine Reaktion auf ein System, das Kreativität in Formate presst, die nie wieder atmen dürfen.
Wir Kreative – und ich spreche hier nicht von den digitalen Werbetreibenden mit Buzzwords im Profil, sondern von denen mit Herz, Haltung und einem zu vollen Lightroom-Katalog – stecken fest in einem Dazwischen. Zwischen brennendem Idealismus und resignierter Ironie. Zwischen den Semesterprojekten, in denen wir utopische Kampagnen gegen den Klimawandel entwickelten, und den 120 Social-Media-Grafiken pro Woche, in denen es jetzt um Rabattcodes geht.
Und klar, Ironie hilft. Sie ist das digitale Ventil, wenn der kreative Druck zu hoch wird. Sie ist die Ausrede, die uns davor schützt, verletzt zu werden, wenn etwas, das wir mit Herzblut gestalten, durch ein Kundenveto entstellt wird. Aber sie frisst uns auch von innen auf. Denn Ironie ist wie Fast Food: kurzfristig sättigend, langfristig zersetzend.
Was mir fehlt – und ich nehme mich da nicht aus – ist der Mut zur Aufrichtigkeit. Der Mut zu sagen: „Ja, das ist mein Bild. Und ja, ich habe dabei etwas empfunden.“ Nicht als Marketingstrategie, sondern als menschlicher Reflex. In einer Welt, die alles relativiert, wird das Echte wieder radikal. Vielleicht ist das die wahre Revolution im Zeitalter der KI – dass wir wieder lernen, uns zu Dingen zu bekennen.
Denn während Midjourney, DALL·E und Co. den kreativen Output industrialisieren, bleibt etwas auf der Strecke, das kein Prompt jemals erzeugen kann: Verbindung. Die Verbindung zur Arbeit. Zur Idee. Zum Bild. Und vielleicht auch zu sich selbst. Wer heute gestalten will, muss nicht nur mit Software umgehen, sondern mit Ambivalenz. Man muss ein Bild bauen, das funktioniert, obwohl es zweifelt. Und das ist die wahre Kunst.
Ironie oder Idealismus? Ich sag: Beides. Aber mit Haltung.
10 Tipps für kreative Menschen in ironischen Zeiten
- Nimm deine Arbeit ernst – aber nicht dich selbst. Die Mischung aus Humor und Hingabe ist das beste Gegengift gegen Zynismus.
- Pflege persönliche Projekte. Sie müssen nichts verkaufen. Aber sie erinnern dich daran, warum du angefangen hast.
- Lass dich nicht von Memes definieren. Nur weil das Netz über kreative Erschöpfung lacht, musst du nicht mitlachen, wenn du eigentlich auf dem Zahnfleisch kriechst.
- Sag öfter laut, dass dir etwas wichtig ist. Leidenschaft ist heute ein Statement. Haltung ist subversiv.
- Finde dein Nein. Nicht jedes Projekt verdient deine Zeit, auch wenn es gut bezahlt ist. Kein Geld der Welt ersetzt deine Würde.
- Reduziere die Bildschirmzeit, erhöhe die Echtheit. Geh raus. Skizziere. Fotografiere. Sprich mit echten Menschen. Der Feed wird warten.
- Sprich mit anderen Kreativen – ehrlich. Kein Portfolio-Geschwafel. Redet über Scheitern, Selbstzweifel und echtes Streben.
- Trenne zwischen Beruf und Identität. Du bist mehr als dein Output. Du bist nicht dein Instagram.
- Lerne, wann Ironie schützt – und wann sie sabotiert. Nutze sie bewusst, aber lass sie nicht dein Weltbild bestimmen.
- Verlieb dich neu – in deine Tools, deine Themen, dein Warum. Du musst nicht jeden Tag brennen. Aber die Glut darf nie ganz erlöschen.
brownz.art















