Tag Archive: leben



Offline ist das neue Auge

Wie der Verzicht auf mobiles Internet unsere visuelle Kreativität beflügelt – eine Reportage über leere Statusbalken, volle Skizzenbücher und die Rückeroberung des Blicks.

Von brownz · Linz, 13. August 2025


Lead

Wer ständig nachlädt, lädt selten nach. In einer Kultur des permanenten Scrollens verliert das Auge die Geduld – und mit ihr die Originalität. Der zeitweise Verzicht auf mobiles Internet wirkt wie eine Diät für den Blick: Erst tut’s weh, dann wird man hellwach. Und plötzlich tauchen sie wieder auf, die feinen Schattenkanten, die zufälligen Spiegelungen, die eigenwilligen Farben zwischen zwei Ampelphasen. Kurz: das Rohmaterial für echte, persönliche Bildsprache.


Die Ausgangslage: Wir leben im Daumenkino

Die größten Museen der Gegenwart heißen „Feed“ und „For You“. Dort hängen täglich Milliarden Bilder, kuratiert von Algorithmen, die deinen Geschmack besser kennen als dein Kühlschrankinhalt. Praktisch? Sicher. Kreativ? Nur bedingt. Denn was massenkompatibel skaliert, ist selten das, was dich schärft. Du trainierst Reaktionszeit statt Wahrnehmungstiefe. Ergebnis: viele Referenzen, wenig Referenz.

Das Smartphone ist dabei kein Schurke, sondern ein Übererfüller. Es gibt dir immer noch ein Bild – auch wenn du eigentlich einen Blick bräuchtest.


Was Dauer-Online mit dem Auge macht

Mikro-Aufmerksamkeit statt Tiefensehen: Das Gerät zerlegt den Tag in 3–20-Sekunden-Häppchen. Gute Bilder entstehen aber aus langen, zusammenhängenden Bändern – beobachten, verknüpfen, verdichten.

Algorithmischer Mittelwert: Feeds liefern Bewährtes. Originalität lebt von Abweichung. Wer nur im Strom fischt, endet beim gleichen Fang.

Verstopfte Leerlaufzonen: Ideen entstehen oft im „Dazwischen“: an der Kaffeetheke, auf dem Heimweg, im Lift. Wenn diese Lücken mit Scrollen gefüllt sind, fehlt der Inkubator.

Werkzeug-Verschiebung: Das Handy ist das beste Gerät zum Konsumieren – und eins der schlechtesten zum Komponieren. Screenshots ersetzen Skizzen. Speicher ersetzt Sehen.

Humor am Rande: Wenn dein Akku bei 3 % die kreativste Entscheidung des Tages erzwingt („Flugmodus oder Ladekabel?“), dann gehört die Entscheidungsgewalt nicht mehr dir.


Der Feldversuch: Eine Woche mit Offline-Fenstern

Tag 1 – Entzugserscheinung: Die Hand greift reflexhaft in die leere Hosentasche. Stattdessen landet sie am Notizheft. Drei Minuten später: erste Skizze eines Treppenhauslichts, das sonst nie auffällt.

Tag 3 – Sehgedächtnis springt an: Ohne Referenzbild im Handy erinnerst du die Form einer nassen Asphaltkante – und triffst sie beim Zeichnen besser als erwartet.

Tag 5 – Timing trainiert: Du wartest auf den Windstoß, der die Jacke hebt. Vorher gibt’s keinen Auslöser. Es entsteht ein Foto, das du nicht „gesehen hast“, sondern erwartet.

Tag 7 – Eigenklang: Beim Kuratieren fehlt die Versuchung, „was Ähnliches wie gestern“ im Netz zu suchen. Stattdessen sortierst du nach Gefühl, nicht nach Likes.

Konkreter Messwert der Woche: 12 fertige Motive, 3 Mini-Serien, 1 veritables Aha.


Stimmen aus der Praxis (kurz & trocken)

„Seit den Offline-Blöcken merke ich mir Farben besser.“ – Illustratorin, 31

„Die Serie wirkt härter – im guten Sinn.“ – Fotograf, 42

„Kunden rufen nicht weniger an, nur später.“ – Designerin, 35

Keiner dieser Sätze ist spektakulär. Zusammen ergeben sie ein Muster: Weniger Netz, mehr Netzhaut.


Glossar für Seh-Faulpelze

  • Tiefensehen: Das Gegenteil von „drüberfliegen“. Langsames, gerichtetes Beobachten mit Notizen.
  • Feed-Mittelwert: Der ästhetische Nenner, den Algorithmen zuverlässig liefern. Gut für Reichweite, schlecht für Handschrift.
  • Inkubation: Zeit ohne Input, in der das Gehirn im Hintergrund ordnet. Offiziell „nichts tun“, in Wahrheit der halbe Job.

10 praktische Tipps – Zeitungstauglich, sofort umsetzbar

1) Das Offline-Zeitfenster

So: Täglich zwei Blöcke à 90 Min. Flugmodus, kein WLAN. Nur du + Werkzeug.
Ziel: Pro Block ein abgeschlossener Mini-Output (12 Bilder, 1 Layout, 1 Skizze).
Do/Don’t: Do: Uhr stellen. Don’t: „Nur kurz“ Mails checken.

2) Dumbphone-Samstag

So: Zweitgerät ohne Internet oder eSIM aus. Nur SMS/Anrufe.
Ziel: Ein halber bis ganzer Tag Input-Fasten.
Messbar: 4×/Monat.
Bonushumor: Wer lost ohne Maps? Genau – der mit den besten Umwegen-Fotos.

3) Blicktagebuch (Pocket)

So: Täglich drei Beobachtungen: Licht, Textur, Farbe. Optional Farbfeld kritzeln.
Ziel: Eigene visuelle Bibliothek.
Tipp: Schreib Verben („glimmt“, „franst“) statt Adjektiven.

4) Slow-Look-Session

So: 10 Minuten nur schauen, 5 Minuten notieren, 5 Minuten umsetzen.
Ziel: Feinheiten zurückerobern.
Praxis: Ein Gegenstand pro Tag reicht.

5) Motivjagd ohne Kamera

So: 20 Minuten gehen, nichts aufnehmen. Drei Motive merken, später skizzieren.
Ziel: Sehgedächtnis + Kompositionsgefühl.
Don’t: „Nur zur Sicherheit“ fotografieren. Das killt den Effekt.

6) Analoges Moodboard (3×3)

So: Wöchentlich 9 Bilder drucken (eigene + fremde). Pinboard statt Bildschirm.
Ziel: Greifbare Referenz, keine Endlosschleife.
Kriterium: Ein Bild runter, wenn du’s eine Woche lang ignorierst.

7) Constraint-Sprints

So: 30 Min, eine harte Begrenzung (nur 35 mm / nur Linien / nur Gegenlicht).
Ziel: Fokus erzeugt Erfindung.
Messbar: 3 Sprints/Woche.
Humor: Wer alles darf, erfindet – nichts.

8) Zufallsroute

So: Würfel entscheidet jede Kreuzung. Nach 12 Abbiegern Stopp.
Ziel: Musterbruch.
Output: Mindestens 12 Fotos/Skizzen, 1 Text über eine Kleinigkeit, die du sonst nie bemerkt hättest.

9) Boredom-Training

So: 15 Min/Tag: keine Medien, kein Gespräch, nur atmen, schauen.
Ziel: Leerlauf als Kraftwerk.
Realität: Die ersten 4 Minuten sind hart, danach wird’s golden.

10) Offline-Capture-Stack

So: Kleine Tasche: Notizheft, 3 Stifte (hell/dunkel/farbe), Tape, A7-Karten, Clip, Karton-Viewfinder.
Ziel: Immer aufnahmebereit – ohne Apps.
Regel: Die Tasche verlässt die Wohnung mit dir oder ihr beide bleibt daheim.


Mikro-Workflows, die wirklich laufen

Der 5×5-Workflow (25 Minuten)

  1. 5 Min Slow-Look · 2) 5 Min Notizen · 3) 5 Min Umsetzung · 4) 5 Min Variante mit Constraint · 5) 5 Min Review mit einem Satz Erkenntnis.

Der Serien-Booster

Thema: „Kanten & Übergänge“ (Asphalt→Pfütze, Haut→Stoff, Glas→Luft).
Regel: 12 Motive, gleicher Bildwinkel, gleiche Höhe.
Output: 3×4-Raster, offline kuratiert, erst dann veröffentlichen.

Café-Test

Setz dich an ein Fenster, 20 Minuten. Aufgabe: 5 Bewegungsmuster notieren (z. B. „Regenschirm wiegt links“, „Hund zieht nach rechts“). Später eine Bildidee daraus ableiten.

Drei-Farben-Jagd

Wähle drei Farben aus deiner Umgebung (z. B. „kaltes Grau, rostiges Orange, blasses Grün“). Erstelle binnen 30 Min eine Mini-Serie, in der nur diese Farben vorkommen.


Woche-für-Woche-Plan (30 Tage)

Woche 1 – Entgiften: 2×90 Min Flugmodus täglich. Blicktagebuch beginnen.
Woche 2 – Schärfen: 1 Slow-Look/Tag + 3 Constraint-Sprints. Analoges 3×3-Moodboard erstellen.
Woche 3 – Produzieren: Eine Serie mit 12 Motiven (Thema frei). Offline kuratieren, nur 6 veröffentlichen.
Woche 4 – Verdichten: Best-of auswählen, Sequenz bauen, kurze Bildlegenden schreiben. Review mit einer Person deines Vertrauens – im echten Raum.

Erwartete Effekte: klarere Motive, mutigere Entscheidungen, sichtbare Handschrift, weniger „Feed-Mittelwert“.


Einwände – und kurze Antworten

„Ich brauche das Netz für Inspiration.“ Begrenze Inspiration auf ein Zeitfenster (z. B. 20 Min/Tag). Der Rest: Feldarbeit.
„Ich verpasse was.“ Ja: Lärm. Dafür findest du Material.
„Kunden erwarten Schnelles.“ Zwei feste Online-Slots pro Tag. Kreativzeit bleibt tabu.


Kasten: Minimal-Setup (billig & gut)

  • Skizzenheft A6, 3 Stifte (HB, 4B, Marker)
  • A7-Karteikarten, Clip, Tape
  • Kleiner Karton-Viewfinder (Loch 3×4 cm)
  • Armbanduhr (ja, analog), Weckerfunktion ohne Handy

Preisrahmen: deutlich unter dem, was du monatlich für Daten zahlst.


Fazit mit Kicker

Kreativität ist keine App, sondern Aufmerksamkeit in Aktion. Wer das Netz zeitweise ausknipst, dreht das Licht im Kopf auf. Leere Statusbalken, volle Seiten – so simpel ist die Gleichung. Und falls du doch mal etwas verpasst: Die besten Bilder warten selten im WLAN, sie warten an der nächsten Ecke.


Redaktion: brownz



Ironie oder Idealismus?

Ein Lagebericht aus dem Maschinenraum der Gestaltung – von BROWNZ

Ich erinnere mich an eine Zeit, in der man als Gestalter noch mit einem leuchtenden Ideal durchs Leben lief. Design konnte Dinge besser machen. Gestaltung war ein Werkzeug, ein moralischer Kompass, ein stiller Weltverbesserer mit Schere, Pixel und Typo. Aber was ist davon heute noch übrig? Ein Meme auf Instagram, das sagt: „Design ist der Grund, warum ich Therapie brauche.“

Der Ironiepegel ist inzwischen so hoch, dass man sich beim Betreten eines Co-Working-Spaces die Schuhe ausziehen müsste. Sticker mit „Helvetica is my therapist“, T-Shirts mit „Design won’t save you“ – die Branche trägt ihren Zynismus wie einen schmutzigen Orden. Und das ist kein Zufall. Es ist Selbstschutz. Eine Reaktion auf ein System, das Kreativität in Formate presst, die nie wieder atmen dürfen.

Wir Kreative – und ich spreche hier nicht von den digitalen Werbetreibenden mit Buzzwords im Profil, sondern von denen mit Herz, Haltung und einem zu vollen Lightroom-Katalog – stecken fest in einem Dazwischen. Zwischen brennendem Idealismus und resignierter Ironie. Zwischen den Semesterprojekten, in denen wir utopische Kampagnen gegen den Klimawandel entwickelten, und den 120 Social-Media-Grafiken pro Woche, in denen es jetzt um Rabattcodes geht.

Und klar, Ironie hilft. Sie ist das digitale Ventil, wenn der kreative Druck zu hoch wird. Sie ist die Ausrede, die uns davor schützt, verletzt zu werden, wenn etwas, das wir mit Herzblut gestalten, durch ein Kundenveto entstellt wird. Aber sie frisst uns auch von innen auf. Denn Ironie ist wie Fast Food: kurzfristig sättigend, langfristig zersetzend.

Was mir fehlt – und ich nehme mich da nicht aus – ist der Mut zur Aufrichtigkeit. Der Mut zu sagen: „Ja, das ist mein Bild. Und ja, ich habe dabei etwas empfunden.“ Nicht als Marketingstrategie, sondern als menschlicher Reflex. In einer Welt, die alles relativiert, wird das Echte wieder radikal. Vielleicht ist das die wahre Revolution im Zeitalter der KI – dass wir wieder lernen, uns zu Dingen zu bekennen.

Denn während Midjourney, DALL·E und Co. den kreativen Output industrialisieren, bleibt etwas auf der Strecke, das kein Prompt jemals erzeugen kann: Verbindung. Die Verbindung zur Arbeit. Zur Idee. Zum Bild. Und vielleicht auch zu sich selbst. Wer heute gestalten will, muss nicht nur mit Software umgehen, sondern mit Ambivalenz. Man muss ein Bild bauen, das funktioniert, obwohl es zweifelt. Und das ist die wahre Kunst.

Ironie oder Idealismus? Ich sag: Beides. Aber mit Haltung.


10 Tipps für kreative Menschen in ironischen Zeiten

  1. Nimm deine Arbeit ernst – aber nicht dich selbst. Die Mischung aus Humor und Hingabe ist das beste Gegengift gegen Zynismus.
  2. Pflege persönliche Projekte. Sie müssen nichts verkaufen. Aber sie erinnern dich daran, warum du angefangen hast.
  3. Lass dich nicht von Memes definieren. Nur weil das Netz über kreative Erschöpfung lacht, musst du nicht mitlachen, wenn du eigentlich auf dem Zahnfleisch kriechst.
  4. Sag öfter laut, dass dir etwas wichtig ist. Leidenschaft ist heute ein Statement. Haltung ist subversiv.
  5. Finde dein Nein. Nicht jedes Projekt verdient deine Zeit, auch wenn es gut bezahlt ist. Kein Geld der Welt ersetzt deine Würde.
  6. Reduziere die Bildschirmzeit, erhöhe die Echtheit. Geh raus. Skizziere. Fotografiere. Sprich mit echten Menschen. Der Feed wird warten.
  7. Sprich mit anderen Kreativen – ehrlich. Kein Portfolio-Geschwafel. Redet über Scheitern, Selbstzweifel und echtes Streben.
  8. Trenne zwischen Beruf und Identität. Du bist mehr als dein Output. Du bist nicht dein Instagram.
  9. Lerne, wann Ironie schützt – und wann sie sabotiert. Nutze sie bewusst, aber lass sie nicht dein Weltbild bestimmen.
  10. Verlieb dich neu – in deine Tools, deine Themen, dein Warum. Du musst nicht jeden Tag brennen. Aber die Glut darf nie ganz erlöschen.

brownz.art


Ich habe kürzlich einen Artikel mit dem Titel “Mach was du wirklich liebst ist ein furchtbarer Ratschlag” gelesen und dort wurde geschrieben: “Leichtfertig wird jemandem, der ein Hobby leidenschaftlich betreibt, geraten, dies als Beruf auszuüben. Die Realität ist: Das wird in den seltensten Fällen gelingen”.

Ähm – nein.

Wenn du den Artikel noch nicht gelesen hast, kannst du dem Link folgen… oder auch nicht, wenn du nicht den Rest den Tages wütend sein willst. Der Autor ist ein großartiger Schreiber mit vielen anderen fantastischen Artikeln, aber dieser ist einfach… größtenteils falsch. Ich habe versucht den Artikel als eines dieser Dinge zu sehen, die durch das Internet kursieren, aber irgendwie kam er immer wieder zurück. Wieviele potentielle Künstler sind wohl da draußen und zerschlagen ihre Träume, weil sie einen dieser angstgetriebenen Artikel gelesen haben?

http://www.rawexchange.de/wie-du-von-dem-was-du-liebst-leben-kannst/

02

Aus dem Leben


20140215-092225.jpg

20140215-092243.jpg

20140215-092256.jpg

20140215-092307.jpg

20140215-092318.jpg

20140215-092331.jpg

20140215-092343.jpg

20140215-092353.jpg

20140215-092402.jpg

20140215-092413.jpg

20140215-092424.jpg


Also einfacher gehts ja wirklich nicht und Spass machts auch 😉

http://www.bitstrips.com/

bs-app-sm