BRAINROT ODER BRAINBOOST?
Ein Selbstgespräch von BROWNZ in Zeiten digitaler Verwirrung


Digitale Medien und der stille Umbau unseres Denkens

Vor gar nicht allzu langer Zeit saß ich mitten in der U-Bahn – ein bisschen müde, ein bisschen ziellos – und bemerkte, dass jeder um mich herum auf ein Display starrte. Ich meine: jeder. Keine Zeitung. Kein Blick aus dem Fenster. Kein Gespräch. Nur Daumen, die über Glas wischen. Eine kollektive Meditation – oder kollektive Verblödung?

Seitdem beschäftigt mich ein Gedanke, der vielen von uns wie ein Ohrwurm im Hinterkopf summt: Werden wir durch digitale Medien dümmer? Oder ist das nur nostalgischer Kulturpessimismus in Pixelpanik?


Was bedeutet „Brainrot“ eigentlich – und ist es real?

Der Begriff „Brainrot“ – ursprünglich ein halbironischer Ausdruck aus Internetforen – beschreibt das Gefühl, dass einem bei stundenlangem Konsum von TikTok, Instagram & Co. das Gehirn buchstäblich matschig wird. Und ja, ich kenne das auch: Die Timeline ist endlos, die Reize sind maximal, der Kopf fühlt sich leerer an als vorher.

Aber das ist nicht das ganze Bild.

Denn dieselben Tools ermöglichen es mir, tief in Themen einzutauchen, für die ich früher drei Bücher und einen Bibliotheksausweis gebraucht hätte. Ich kann weltweit in Sekunden mit Experten diskutieren, PDFs lesen, Forschungsergebnisse vergleichen. Wenn ich will.

Genau hier liegt der Kern: Wollen wir denken – oder wollen wir uns berieseln lassen?


Digitale Demenz oder digitale Delegation?

Der Psychiater Manfred Spitzer prägte 2012 den Begriff „Digitale Demenz“. Seine These: Wir lagern Denken aus – an Google, an Navis, an Rechen-Apps – und trainieren unser Gehirn nicht mehr. Folge: geistiger Abbau. Klingt hart. Und wurde heftig kritisiert.

Denn das Gehirn ist kein Muskel, es ist ein Organ. Und Organismen passen sich an. Die Neurobiologie zeigt: Neue Technologien verändern unsere Hirnstrukturen. Aber Veränderung ist nicht automatisch Verfall.

Die Frage ist nicht: „Werden wir dümmer?“ Die Frage ist: „Welche Art von Intelligenz fördern wir – und welche verkümmert?“


Multitasking: Das große Missverständnis

Viele glauben, Multitasking sei eine Superkraft. In Wahrheit ist es eine Illusion. Zahlreiche Studien belegen: Wer ständig zwischen Apps, Tabs und Reizen springt, fragmentiert seine Aufmerksamkeit. Konzentration wird zur Ausnahme. Das Gehirn lernt, ständig abzuschweifen – ein Zustand, den Psychologen als „continuous partial attention“ bezeichnen.

Das Ergebnis: weniger Tiefgang, mehr Zerstreuung. Kurzzeitiger Dopamin-Kick statt nachhaltiger Erkenntnis.

Ich kenne diesen Modus gut. Man fühlt sich beschäftigt – aber nicht erfüllt. Informiert – aber nicht klüger. Und am Ende weiß man nicht mal mehr, was man eigentlich gesucht hatte.


Gedächtnis outgesourct: Wenn das Navi denkt

Eine besonders beunruhigende Entwicklung betrifft unser räumliches Gedächtnis. Studien zeigen, dass Menschen, die regelmäßig Navigationsgeräte nutzen, deutlich schlechter darin sind, sich in realen Umgebungen zurechtzufinden.

Ich selbst habe irgendwann bewusst angefangen, das Navi nur noch bei Zeitdruck zu verwenden. Und siehe da: Mein innerer Kompass kam langsam zurück. Orientierung ist wie Sprache: Wenn man sie nicht nutzt, verkümmert sie. Und wenn man sie trainiert, wird sie schärfer.


Die andere Seite der Medaille: Digitale Exzellenz

Natürlich gibt es auch das andere Extrem. Junge Menschen, die mit digitalen Tools Großartiges schaffen. Die sich in Online-Communities Wissen aneignen, programmieren lernen, eigene Medienkanäle aufbauen. Menschen, die kreative Projekte umsetzen, globale Netzwerke bilden, digitale Geschäftsmodelle entwickeln.

Für sie ist das Netz nicht Zerstreuung – sondern Entfaltung. Kein Sumpf – sondern Sprungbrett.

Und es ist kein Zufall, dass diese Menschen oft gezielt, fokussiert, mit Struktur agieren. Sie nutzen Tools, statt sich von ihnen benutzen zu lassen. Genau das ist der Unterschied.


Der „Reverse Flynn-Effekt“ und die digitale Frage

Seit den 1980er-Jahren stiegen die durchschnittlichen IQ-Werte weltweit – ein Effekt, der als Flynn-Effekt bekannt wurde. Doch seit einigen Jahren beobachten Forscher eine Trendumkehr. In Ländern wie Norwegen, Australien oder Dänemark sinken die gemessenen IQ-Werte.

Korrelation ist keine Kausalität, klar. Aber ein Zusammenhang mit der allgegenwärtigen Bildschirmnutzung ist zumindest plausibel. Neue Studien deuten auf einen Anstieg von Impulsivität, Reizbarkeit, kognitiver Erschöpfung hin. Insbesondere bei exekutiven Funktionen wie Planung, Problemlösung, Sprachverarbeitung.

Aber vielleicht misst der IQ-Test auch nur die falschen Dinge.

Denn was ist Intelligenz heute? Die Fähigkeit, Gedichte auswendig zu können – oder das Talent, mit Informationen kreativ, kritisch, kontextsensibel umzugehen?


Was tun? Eine Haltung, kein Verzicht.

Ich bin kein Romantiker. Ich will nicht zurück zur Schreibmaschine. Ich will nicht offline in einer Welt, die online stattfindet. Aber ich will Haltung. Bewusstsein. Entscheidungsfähigkeit.

Deshalb meine Regeln:

  • Kein Scrollen am Morgen. Der Kopf braucht Leere vor dem Lärm.
  • Keine Multiscreen-Abende. Ein Bildschirm – ein Fokus.
  • Wieder mehr lesen. Gedruckt. Langsam.
  • Gespräche ohne Google. Wissen nicht sofort klären – sondern erdenken.
  • Tools nutzen, um zu wachsen – nicht, um zu entkommen.

Denn die Technik ist nicht das Problem. Wir sind es. Oder vielmehr: unser Umgang damit.


Fazit: Der Mensch im Spiegel

Digitale Medien entblößen uns. Sie zeigen, wie schnell wir abgelenkt sind, wie wenig wir aushalten, wie süchtig wir nach Reizen sind. Aber sie zeigen auch unser Potenzial. Unsere Neugier. Unsere Kreativität. Unsere Fähigkeit, zu lernen, zu verknüpfen, zu erschaffen.

Ob aus dem Ganzen Brainrot wird oder Brainboost – liegt an uns.

Und vielleicht ist genau das die wichtigste Erkenntnis dieser Zeit.

Euer BROWNZ
www.brownz.art


Entdecke mehr von Der BROWNZ Blog

Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.